Evangelium der Hexen

Unter dem „Evangelium der Hexen“ oder „vangelo delle strige“ versteht man in Italien ein Ritualbuch, in dem Volkszauber enthalten sind. Solche traditionellen Ritualbücher der Magie sind im Grund überall in Europa aufzufinden – in Frankreich heißen sie „Grimoires“, in England „Book of Shadows“. Im sehr katholischen Italien wurde das Hexenbrauchtum jedoch bis in die frühe Neuzeit als eine Abweichung vom christlichen Glauben oder sogar als Verhöhnung und Verspottung desselben aufgefasst und dementsprechend auch hart bestraft (was nicht verhinderte, dass es im Geheimen aufblühte). Aufgrund dieser Vorstellung, dass die praktizierende Hexe sich angeblich über den christlichen Glauben lustig mache, entstand die Redeweise von dem angeblichen Evangelium der Hexen, welches die kirchlichen Lehren auf den Kopf stellen sollte. Tatsächlich gibt es in den volkstümlichen Ritualbüchern und Zauberbüchern aus Italien, die so betitelt wurden, aber keine Heilsgeschichte wie im christlichen Evangelium und auch keinen Gott, sondern es handelt sich um unzusammenhängende Sammlungen von Zaubersprüchen, die meist mündlich wiedergegeben wurden und oft erst sehr spät die erste schriftliche Niederlegung fanden. Wir kennen heute viele solcher alten Volkszauber aus Italien aus dem Werk des Völkerkundlers (Ethnologen) Charles Leland, der im 190. Jahrhundert bei seinen Reisen von Oberitalien bis nach Sizilien viel von dem alten Hexenglauben und der Volksmagie fand. Insbesondere gibt es in Italien auch den Glauben an Aradia, die Königin der Hexen, und an den aus der Antike stammenden Mythos von Tana und Endamone (Diana und Endymion), die Mondgöttin und ihren Liebhaber – ein Thema, das in der Literatur der Romantik oft angesprochen und vielfach variiert wurde. Die eigentlichen magischen Handlungen, die von dem Forscher Leland in Italien entdeckt wurden, sind recht einfach und volkstümlich und bedienen sich lokaler Früchte und Kräuter wie Zitronen, Orangen und auch die Pflanze Basilikum, welche besonders oft in Liebeszaubern eingesetzt wird, um die Beziehung zwischen zwei Menschen zu fördern. Ein klassischer Hexenzauber aus dem „Evangelium der Hexen“ besteht etwa darin, einem Menschen, dem man viel Liebe und Glück wünscht, eine kleine ganz mit bunten Stecknadeln gespickte Zitrone zu schenken – es darf nur keine schwarze Stecknadel dabei sein, denn die bringt Unglück.


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